Eckernförde – Als der Trubel vorbei ist, sitzen zwei Frauen auf den Kirchenbänken und schauen durch die tropfennassen Fenster. Der Eckernförder Regen trommelt aufs Dach und hat alle Menschen vom Strand vertrieben außer drei Jungs, denen ihre klatschnassen T-Shirts nichts auszumachen scheinen. Kerstin Ossenberg-Engels und Sabine Kuster aber sitzen im Trockenen und plaudern. Es duftet nach frisch gesägtem Holz.
Die beiden Frauen sind zur neuen Schäferwagenkirche des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Rendsburg-Eckernförde mit dem Rad gekommen. Nun pladdert es richtig, fast schleswig-holsteinisch, und diese Kirche tut das, was sie in einem solchen Fall tun soll: einen Schutzraum bieten, Menschen ins Gespräch miteinander bringen, anregen zum Plaudern oder Schweigen mit dem Blick aufs Meer – auch wenn sich die Bucht gerade mehr ahnen lässt als wirklich sehen. Eine mobile Kirche direkt am Strand: Das ist bislang einzigartig an Nord- und Ostsee.
Gut zwei Stunden vorher. Der Himmel tropft noch nicht, und ein SUV zieht den Hänger mit einem Schäferwagen auf den Eckernförder Strand: sechs Meter lang, 2,50 Meter breit, eine kleine überdachte Terrasse und zwei große Holzspeichenräder inklusive – und mit einem großen Metallkreuz auf dem Dach sowie einem Bibelvers über der Tür: „Gott, mein Hirte, führt mich zu frischem Wasser!“ Gleich soll die Kirche gewidmet werden. Anton, Tanja und Sverre Kraack sind also just in time – dafür haben sie allerdings ihr Pfingstfest komplett streichen müssen. Anton, Tanja und Sverre Kraack sind nicht nur Vater, Mutter, Sohn, sondern auch Besitzer der Schäferwagen Manufaktur in Oersberg bei Kappeln, und nachdem der Wagen gut und richtig steht, wischen sie sich erstmal den Schweiß von der Stirn. Dann schellt es laut über den Strand.
Tourismuspastorin Brigitte Gottuk und Propst Sönke Funck rufen zur Einweihung der Schäferwagenkirche – lautstark mit einer Messingglocke, die die evangelische Gemeinschaft in der Nordkirche just für derlei Anlässe geschenkt hat, um sich Gehör am Strand zu verschaffen. „Diese mobile Kirche“, erklärt Funck den nun etwa 50 Versammelten, „soll ein Stützpunkt für die Arbeit der Tourismuskirche werden. Wir Menschen sind ja gerade im Urlaub ein wenig freier vom alltäglichen Kleinklein und kommen so auch auf andere Gedanken, was uns bewegt und wie wir leben wollen. Also müssen wir als Kirche dorthin gehen, wo im Sommer alle sind: an den Strand.“ Die Schäferwagenkirche sei für alle ein weithin sichtbares Zeichen und Angebot „und ein sichtbarer Ausgangs- und Sammelpunkt für alle Aktivitäten unserer Tourismuspastorin Brigitte Gottuk und ihrer Teams hier am Strand. Eine sichtbare Kirche - auch wenn mal gar nichts los ist. Und es ist wunderbar, dass dieses Projekt dank der Unterstützung vieler Spender und Stiftungen nun noch vor den Sommerferien beginnt!“
Was den Wagen zur Kirche macht
Dieser Wagen werde aber nicht zur Kirche, nur weil ein Kreuz auf dem Dach befestigt sei, so Funck. Es brauche auch kein durchschnittenes rotes Band wie bei der Einweihung einer Umgehungsstraße – sondern Menschen, die von diesem Projekt begeistert seien, neugierig, die sich hier begegneten. „Erst wenn wir ihn als Kirche nutzen, wird dieser Wagen zu dem, was er sein soll: ein handgreiflicher Ort der Nähe und Gegenwart Gottes, seiner Liebe und Menschenfreundlichkeit.“ Die alten Reformatoren um Martin Luther hätten das vor 500 Jahren so formuliert: Eine Kirche sei dann eine Kirche, wenn sich in ihr die Menschen als Gemeinde Gottes versammelten, wenn in ihr das Evangelium verkündigt wird und die Sakramente, also Taufe und Abendmahl gefeiert werden. „Mehr braucht es nicht – weniger allerdings auch nicht!“ Darauf freue er sich sehr, so der Propst.
Halb zur Gemeinde dieses Augenblicks, halb zur neuen Kirche gewandt, widmet Funck die Schäferwagenkirche ihrer Bestimmung „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dann greift der Propst zur Gitarre und stimmt an: „Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt. Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.“ Neue Wege, die auch der Kirchenkreis beschreitet. Tourismuspastorin Brigitte Gottuk wagt den Blick in ebendiese Zukunft: „18 Täuflinge wurden in diesem Sommer in und an der Schäferwagenkirche getauft, kleine Hochzeitsgesellschaften lieben die Atmosphäre des Wagens, den Blick aufs Meer, und die großen monatlichen Strandgottesdienste werden unterstützt von unterschiedlichen Konfessionen“ – sowas, ruft Gottuk lachend, würde sie in drei Jahren gerne in der Zeitung lesen.
Ein Projekt mit Mut
Dann wird sie ernst. Denn sowohl Propst Funck als auch Karen Jensen, Leiterin des Zentrums für Kirchliche Dienste im Kirchenkreis, hätten mit einer frühen Zusage zum Projekt ungewöhnlichen Mut bewiesen: „Sie haben gesagt: ‚Auch wenn es noch nicht voll finanziert ist, springen wir zur Not ein, die Schäferwagenkirche soll kommen!‘ Für diesen Mut danke ich Ihnen sehr, das war visionär und in der Kirche so nicht üblich!“
Und in der Tat steht die Kirche nun zwar am Eckernförder Strand, „aber sie ist noch nicht durchfinanziert, ich suche also noch Sponsoren“, ruft Gottuk und lacht erneut. Sie dankt den vielen Unterstützern des Projekts – insbesondere der Stadt für ihre umfangreiche Zusammenarbeit und das Winterquartier für die Kirche, aber auch den finanziellen Unterstützern. Darunter sind kirchliche Einrichtungen wie der Innovationsfonds des Kirchenkreises und die Vereinigte Ev.-Luth. Kirche Deutschlands, aber auch die Fördesparkasse, die Elisabeth-Eifert-Stiftung und die Stiftung Gertrud. Und die Spielkiste Eckernförde hilft mit strandtauglichem Spielzeug. Was Gottuk in diesem Moment nicht weiß: Schon am nächsten Tag wird ein weiterer Förderer hinzukommen, denn die Jury der „chrismon-Gemeinde 2019“ vergibt an die Schäferwagenkirche einen Preis in Höhe von 1000 Euro in der Kategorie „Besonderer Gottesdienst“. Dass der noch dieses Jahr hier stattfinden wird, davon ist Gottuk überzeugt, „in einer Kirche so nah am Meer wie sonst keine!“
Geld- und Zeitspenden weiter erwünscht
Wenige Minuten nach der Einweihung, man plaudert und stößt an auf die holzgewordene Idee, beginnt es zu wehen. Dann fallen die ersten dicken Tropfen. Einpacken, Abbau, viele hasten hinfort. Manche setzen sich in die neue Kirche (Innenmaß 4,5 x 2,10 m) und warten ruhig ab.
Kerstin Ossenberg-Engels ist nicht zufällig zur Einweihung geradelt. Sie hat das rote T-Shirt mit dem neuen Logo präsentiert: Wellen, ein Kreuz, ein Schaf, drumherum die Worte „Schäferwagenkirche Eckernförde“. Und sie hat den Schlüssel zur Wagentür erhalten. Ossenberg-Engels ist nun einer der ehrenamtlichen Helferinnen, die während dieses Sommers Raum, Zeit und Ohr anbieten für Kinder und Jugendliche, Erwachsene und Rentner, Urlauberinnen und Einheimische. „Unsere Schäferwagenkirche“, hatte Tourismuspastorin Brigitte Gottuk gesagt, „lebt von den Menschen, die mitmachen.“
Und natürlich freuen sich beide über Mitmacherinnen und Mitmacher. Denn je mehr dabei sind, so Ossenberg-Engels, desto öfter könne die Kirche öfnen. Das Ziel sind feste Zeiten, „zum Beispiel immer ab 11 Uhr. Und natürlich können sich hier Kindergruppen treffen. Oder Jugendgruppen. Oder Literaturgruppen. Oder Seniorinnen und Senioren. Oder Musiker, die unplugged spielen wollen und können, denn Strom haben wir hier nicht.“ Die Gitarre, mit der Propst Funck zuvor davonradelte, war ebenfalls eine akustische.
Ossenberg-Engels wird an diesem Abend trocken nach Hause gelangen. Und gleich am nächsten Morgen erneut an den Strand fahren und ein Schild „Ich habe Zeit“ an die neue kleine Kirche hängen. Die Sonne wird dann scheinen und die erste Besucherin eine Urlauberin sein. Sie kommt vom Bodensee, geheiratet hat sie hier in Eckernförde. Und die Schäferwagenkirchenhelferin wird feststellen: „Wir brauchen dringend ein Gästebuch – für genau diese Geschichten.“