Rendsburg – Wie die Frau da der Sonne entgegenreitet: ein Bild wie gemalt. Die perfekte Metapher für das Einssein mit der Natur, für den Ruhestand und alles, was noch folgen wird.
Doch erstens ist Gudrun Bielitz-Wulff natürlich kein einsam umherziehender Cowboy und noch nicht mal ein Cowgirl, sondern bewohnt seit mehr als drei Jahrzehnten mit ihrem Mann ein Haus in Königsförde, und zwar recht dicht am Kanal. Zweitens ist die 64-Jährige nicht schießwütig, sondern ein vorsichtiger und ein präzise hinschauender wie hinhörender Mensch. Und drittens stimmt auch das mit dem Ruhestand nur halb: Gudrun Bielitz-Wulff beendet jetzt zwar ihren Dienst als Pastorin für Personal- und Gemeindeentwicklung im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde – als tiefenpsychologisch ausgebildete Supervisorin betreut und berät sie aber weiterhin ein Dutzend Klienten.
Was immerhin stimmt an der Metapher vom Sonnenuntergang: Gudrun Bielitz-Wulff ist gern in der Natur. Und sie reitet, seit einem Vierteljahrhundert ist das ein ihr lieber und teurer Ausgleich zu all den Gesprächen und Sitzungen, dem Hinschauen und Hinhören. Sie holt dann ihr Exmoor-Pony aus dem Stall und reitet in den Wald bis Jägerslust. „Und drei Mal im Jahr fahre ich mit ‚Inspektor‘ auch nach Deutsch-Nienhof und nehme an einem Kurs teil.“ Dann ist sie nur bei sich und dem Pferd – und nicht bei Themen wie Konfliktberatung oder Knatsch, Kollegialität oder Kirchenkreis.
Dort gab es in den vergangenen Jahren reichlich Gesprächsbedarf: weniger Mitglieder in den Kirchengemeinden, weniger Gottesdienstbesuche, weniger junge Ehrenamtliche, weniger Taufen, weniger Pastorinnen und Pastoren, die eine ländliche Gemeinde übernehmen wollen. Diese Veränderungen führen mitunter zu Konflikten, welchen Weg es einzuschlagen gilt. In solchen Situationen konnten Gudrun Bielitz-Wulff und ihr Kollege Lars Klehn, beim Kirchenkreis angestellt und daher von außen in die Gemeinden kommend, häufiger mit Rat, Tat und Ruhe helfen. „Mit Gudruns Pensionierung geht eine Ära zu Ende“, sagt Propst Sönke Funck. „Über die gesamten zehn Jahre meines Amtes hinweg ist sie mir eine wertvolle Begleiterin gewesen, fachlich und kritisch. Das gilt besonders für mehrere schwierige Kriseninterventionen – dafür bin ich ihr sehr dankbar. Ein Arbeiten ohne sie in unserem Kirchenkreis kann ich mir bislang kaum vorstellen.“ Am kommenden Montag (2.3.) wird Gudrun Bielitz-Wulff um 17 Uhr in Rendsburg mit einem Gottesdienst im Zentrum für Kirchliche Dienste verabschiedet (Margarethenhof 41).
Zweites Zuhause
1955 wurde Gudrun Bielitz zwar in Koblenz geboren, doch früh und häufig zog die Tochter einer Gutssekretärin (damals ein Ausbildungsberuf) und eines Marinesoldaten um: Langballig, Glücksburg, Flensburg-Mürwik, Wilhelmshaven, Eckernförde – allein bis zur siebten Klasse. Den häufigen Umzügen setzte schon die kleine Gudrun etwas entgegen, was sich wie ein roter Faden durch das Textil ihres Lebens ziehen sollte: „Ich stamme ja aus einem nichtkirchlichen Haushalt, aber ich hatte ganz früh Kontakt zur Kirche, das war wie ein zweites Zuhause“, sagt Bielitz-Wulff heute. Die Kinderbibel von Anne de Vries im Kindergarten Glücksburg. Allein den Kindergottesdienst besucht. Der alte Pastor, der mit weißer Kreide eine Art Formel an die Tafel schrieb: „Glauben = Vertrauen“. Für die Fünftklässlerin Gudrun sollte es eine Formel fürs Leben werden. „Es ist so einfach und so richtig“, sagt Bielitz-Wulff und ergänzt spontan: „Mal sehen, vielleicht nehme ich das sogar in meinem Verabschiedungsgottesdienst am 2. März auf.“
Die Jungmannschule in Eckernförde bot nach dem Mädchengymnasium Wilhelmshaven eine neue Erfahrung: „eine gemischte Schule, das war toll!“ Auch hier gab es viele religiöse Anknüpfungspunkte für Gudrun, „die halbe Klasse war in der Evangelischen Jugend, das war damals normal – und es gab viele gute Feten im ehemaligen Lutherhaus“, erzählt sie. Die Vertretung des öfter kranken Pastor im Konfirmationsunterricht übernahm Uwe Schmidt, später Pastor in Altenholz, und der half ihr nach dem Abitur 1974 auch gleich durch den Hebräisch-Crashkurs – denn da war längst klar, dass sie Theologie studieren wollte. In der Kieler WG der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) lernte Gudrun Bielitz auch ihren späteren Mann Norbert Wulff kennen.
Als Nachtwache in der Klinik
Geld verdiente Gudrun Bielitz während des Studiums als Nachtwache in der Uniklinik. Die Erfahrung auf Station sollten ihr später noch oft zugute kommen. „Nach dem Examen 1980 habe ich ein Jahr lang Extrawachen geschoben, um etwas Abstand zur Theologie zu gewinnen“, sagt sie. Denn Pastorin zu werden, war für sie so klar nicht. Doch die Arbeit auf Station war hart und hierarchisch – und was ihr Professors Joachim Scharfenberg über die Pastoralpsychologie lehrte, hatte es ihr angetan. „Rituale und Bibeltexte tiefenpsychologisch zu deuten, das war eine große Erkenntnis für mich“, sagt Gudrun Bielitz-Wulff.
Das Vikariat in Flensburg-Rude („ein freundlich-menschlicher Anleiter und theologisch sehr versiert“) und im Predigerseminar Breklum, die Stelle als „PzA“ (Pastorin zur Anstellung) am Institut für berufliche Aus- und Fortbildung in Rendsburg und erneut die ESG in Kiel, diesmal nicht als Studentin, sondern als frisch verheiratete Pastorin – das waren die ersten Stationen. 1992 ging sie als Krankenhausseelsorgerin nach Schleswig. Sie kannte die Klinikabläufe von früher, das half im Umgang mit Schwestern und Pflegern. Sie veranstaltete Workshops mit Jungärzten zu Sterbehilfe und Organspende. „Und alle 14 Tage wurde der Publikumsverkehr aus der Eingangshalle umgeleitet, dafür Altar und Orgel hineingerollt – und dann haben wir dort Gottesdienst gefeiert. Das war wunderbar niedrigschwellig, da blieben auch Leute, die nur zufällig um die Ecke schauten.“
Es gab aber auch die dunklere Seite – die unheilbar Kranken, die im Suff kollidierten Autofahrer, die Eltern, deren Sohn nach einem Motorradunfall über Monate nicht ansprechbar war. Gudrun Bielitz-Wulff hatte das Gefühl, dass die Fälle härter wurden und ihr mehr zusetzten. Nach neun Jahren Klinik bewarb sie sich am Predigerseminar in Preetz, wurde genommen und fühlte sich „genau richtig dort“, denn dort atmete das Gebäude jene Pastoralpsychologie, die sie so anzog, aus allen Poren. Ein Rat der heutigen Personalentwicklerin an Theologiestudierende und Vikare? „Gestaltet selber. Lasst nicht alles mit euch machen. Erwartet nicht, dass die Dinge fertig sind, sondern schafft euch selbst die Strukturen. Das ist unbequem, hat aber viele Vorteile. Die Vielfalt unserer Kirche spiegelt sich auch in den vielen Möglichkeiten, sich zu entfalten. Und nutzt die Fortbildungen. Unsere Kirche fördert das sehr.“
Den Menschen Zeit und Raum geben
In Preetz gab es allerdings die feste Regel, dass sich nach zehn Jahren die Ausbildenden verabschieden müssen – auch Gudrun-Bielitz-Wulff musste dies und „hat nicht geglaubt, dass mich noch eine Stelle reizen könnte.“ Doch als sie von der Personal- und Gemeindeentwicklung im Kirchenkreis hörte, „da wusste ich: Auch die klingt gut, auch die will ich – wie ich überhaupt unglaubliches Glück mit all meinen Stellen hatte, eine interessanter als die nächste!“ Ein wichtiges Thema hier war und ist die regionale Zusammenarbeit zwischen den Kirchengemeinden – bis hin zu Fusionen wie jüngst in Schwansen. Dazu sagt Gudrun Bielitz-Wulff: „Diese Entwicklung ist nötig und kann prima laufen – aber man muss den Menschen Zeit geben und sie mitnehmen. Das sind keine Spielverderber, nur weil sie Bedenken haben, sondern diese Widerstände gibt es, sie gehören zum Prozess und drücken auch Trauer darüber aus, dass und wie sich die Zeiten ändern. Und dieser Prozess muss ebenfalls Raum erhalten.“
In dieser Hinsicht ist sie ganz Seelsorgerin – und sieht durchaus Lernpotenzial beim „Inspektor“, dem sie sich auch künftig viel widmen wird: „Pferde sind ja immer im Hier und Jetzt. Sie sind Herden- und Fluchttiere und darauf angewiesen, die Emotionen ihrer Herde wahr- und aufzunehmen. Deshalb spiegeln sie Reitenden sehr gut wider, was diese an Emotionen mit auf die Koppel bringen: Stress und Ärger – oder Freude, Ruhe, Sicherheit? Letzteres mögen sie natürlich am liebsten. Für die Seelsorge kann man also viel von ihnen lernen.“
Der Gottesdienst zum Abschied von Pastorin Gudrun Bielitz-Wulff findet statt am Montag, 2. März 2020 um 17 Uhr im Zentrum für Kirchliche Dienste, Am Margarethenhof 41 in Rendsburg.