Rendsburg – Bis auf den letzten Platz besetzt war der Jugendbus, als er an Himmelfahrt in Rendsburg startete – morgens um kurz nach 6 Uhr. Eine lange Tour lag vor den Reisenden, das Ziel: Auschwitz in Polen. Begleitet wurden die 7 Jugendlichen im Alter von 16 bis 22 von Pastor Witold Chwastek und Gemeindepädagogin Claudia Rochau. Im Rückblick ist klar: Aus dem diesjährigen Pilotprojekt wird eine wiederkehrende Veranstaltung.
Wenige Wochen später sitzt die 16-jährige Sophie als Jüngste der Gruppe mit Pastor Chwastek und Claudia Rochau zusammen und lässt die Fahrt Revue passieren: „Ich habe so viel gelernt über das, was damals passiert ist. Es ist ein so relevantes Thema in der deutschen Geschichte! In der Schule haben wir das Thema bisher nur kurz gehabt, das war mir zu wenig.“ Deshalb hatte sie sich auch vorher schon einige Videos zum Thema angesehen, um etwas besser vorbereitet zu sein.
„Kirche hat einen politischen Bildungsauftrag“
Der Gedanke, eine solche Fahrt anzubieten, entwickelte sich erst zu Beginn des Jahres. Pastor Witold Chwastek ist gebürtiger Pole und 54 Kilometer entfernt von Auschwitz aufgewachsen. „Ich war oft an diesem Ort des Lernens, Gedenkens und Trauerns, wusste schon als Jugendlicher, dass es Vernichtungslager im zweiten Weltkrieg war.“ Als im Januar dann die Potsdamer Konferenz bekannt wurde, wollte er seinen Teil zur Aufklärung beitragen: „Kirche hat auch einen politischen Bildungsauftrag. Ich habe mich gefragt, was Jugendliche heute eigentlich noch über die damalige Zeit wissen. Aus diesem Gedanken heraus wollte ich etwas tun, im Sinne der Bildungsarbeit und der deutsch-polnischen Verständigung.“
Schnell entwickelte sich eine Kooperation mit der Jugendarbeit im Zentrum für Kirchliche Dienste des Ev.-Luth. Kirchenkreises Rendsburg-Eckernförde. Gemeindepädagogin Claudia Rochau sorgte dafür, dass Jugendliche von der geplanten Fahrt erfahren, kümmerte sich um die Finanzierung und Anmeldung. Über die Hälfte der anfallenden Kosten konnten trotz der kurzen Zeit refinanziert werden – Unterstützung gab es vom Kreis, vom Kirchlichen Entwicklungsdienst und vom Kirchenkreis. Mit Sprache und Orten bestens vertraut, regelte Chwastek alles, was in Polen vorab zu organisieren war.
Die Gedenkstätte und das Vernichtungslager
Vier Tage war Sophie mit der Gruppe unterwegs, davon zwei komplette Reisetage. In Auschwitz selbst besuchten die Jugendlichen zunächst ein jüdisches Museum, mittags ging es dann Richtung Gedenkstätte. „Mich hat es total überrascht, dass so dicht an dem Lager Menschen gewohnt haben, ich hatte mit mehr Abgeschiedenheit gerechnet! Ich habe gelernt, dass es nicht das eine Auschwitz gibt, sondern dass es drei Lager waren. In Auschwitz 1 kamen wir an und es sah aus wie eine verlassene Wohngegend mit ganz vielen Backsteinhäusern in Reih und Glied,“ beschreibt die 16-jährige. Dieses erste Lager war ein altes Kasernengebiet, erläutert Chwastek, von dem aus alles übrige gebaut wurde. Zum Lagerkomplex gehörten außerdem das Vernichtungslager Birkenau, dort standen die Gaskammern, sowie ein weiteres Arbeitslager. Diese weiteren Lager wurden vor allem gebaut, weil Auschwitz 1 zu klein wurde. „Die Vernichtung wurde am Reißbrett nach Maßstäben der Effizienz geplant“, macht Chwastek im Gespräch deutlich.
Die Gruppe besuchte mit einer Führung die Ausstellung in Auschwitz, mitunter von Emotionen überwältigt: „Ein Mitglied wurde überaus wütend angesichts des großen Berges an Brillen, die ausgestellt waren. Selbst auf die Brille angewiesen war es eine überwältigende Vorstellung, wie sehr Menschen durch die Wegnahme dieser Hilfe gedemütigt wurden,“ berichtet Rochau. Für Sophie waren es vor allem die vielen Haare in einem anderen Teil der Ausstellung, die ihr nahegingen: „Diese Menschen wurden quasi verwertet nach ihrem Tod“ sagt sie, während sie nachdenklich über den eigenen, langen Zopf streicht.
Ein Handzeichen entschied über Leben und Tod
In Erinnerung geblieben ist ihr vor allem eine Erzählung über den Umgang mit den Menschen, die in Auschwitz-Birkenau ankamen. „Sie liefen über eine Rampe und dort wurde mit einem einzigen Handzeichen darüber entschieden, ob sie leben oder sterben. Daumen hoch bedeutete, die Person solle in die Baracke gehen, Daumen runter bedeutete den direkten Weg in die Gaskammern“. Sophie berichtet auch von der sogenannten Todesbaracke, in der Kranke und Schwache auf engstem Raum untergebracht wurden und auf ihre Ermordung warteten, oft ohne Essen und Trinken, sodass viele übers Warten starben. Erst wenn die Baracke nach Maßstab der Offiziere voll war, ging es zu den Gaskammern: „In die Wände waren Buchstaben geritzt, ich dachte, dass seien die damals Gefangenen gewesen. Mit Entsetzen habe ich dann festgestellt, dass sich da offenbar Menschen verewigt haben, die diese Räume erst besucht haben, als sie schon Gedenkstätte waren. Diese Respektlosigkeit macht mich traurig“.
Im Rückblick formuliert sie sehr klar einen Appell: „Ich würde jedem Menschen empfehlen, unabhängig vom Alter, sich das anzusehen und werbe dafür, diese Fahrt so vielen Menschen wie möglich unabhängig vom finanziellen Können zu ermöglichen.“