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Eine Kirche mit Geschichte und vielen Geschichten

  • Ist fasziniert von der Marienkirche: Pastor Rainer Karstens.

Mit schnellen Schritten durchquert Rainer Karstens den Turmraum der St.-Marien-Kirche. Als sich die Glasschwingtür hinter ihm schließt, wird er langsamer. „Die Kirche nimmt mich jedes Mal wieder mit ihrer besonderen Atmosphäre ein“, sagt Karstens. Er steht im hinteren Bereich der Kirche, blickt auf den reich verzierten Altar, die Kanzel und das Taufbecken. Epitaphien schmücken die Säulen. „Viele glauben ja, wenn sie die St.-Marien-Kirche zum ersten Mal betreten, dies sei eine katholische Kirche“, berichtet der Pastor, „weil die Ausstattung so prachtvoll ist.“ Aber dem ist nicht so. „Unsere Ausstattungsgegenstände sind bis auf das Taufbecken alle nach der Reformation entstanden und ganz im Sinne der evangelischen Theologie gestaltet“, sagt der Pastor.

Er kennt sich aus in der Marienkirche. Seit 19 Jahren ist der 50-Jährige Pastor der Kirchengemeinde St. Marien Rendsburg. Gemeinsam mit Heidi Kell und Dr. Christoph Schoeler ist er für 6300 Gemeindemitglieder in den Stadtteilen Altstadt, Kronwerk, Parksiedlung, Bugenhagen und Schleife zuständig. Neben der vergleichsweise jungen Bugenhagenkirche aus dem Jahre 1959 bildet das älteste Bauwerk Rendsburgs, die St.-Marien-Kirche in der Innenstadt, das Herzstück der Kirchengemeinde. Hier predigt der Propst, hier erklingt erstklassige Kirchenmusik, hier lebt Geschichte. In diesem Jahr feiert die St.-Marien-Kirche ihr 725-jähriges Jubiläum. 

St. Marien ist 1287 auf dem höchsten Punkt der Eiderinsel gebaut worden. Vorher gab es auf dem Kirchhof bereits eine Kirche, die aber 1286 einem Brand zum Opfer fiel. Bis 1335 wurde an der dreischiffigen Hallenkirche, die im gotischen Stil gehalten ist, gebaut. Der Bau des Turmes folgte zu Beginn des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit erfuhr die Kirche einige Reparaturen, Ausbauten und Veränderungen. Zum Beispiel wurde ein westlicher Dachreiter aufgesetzt. Auch danach wurden immer wieder Änderungen und Instandsetzungen an der Kirche vorgenommen. Die letzte Sanierung mit Erneuerung des Dachstuhls und Sanierung des Innenraums fand vor zehn Jahren statt. 

Rainer Karstens arbeitet gerne in der St.-Marien-Kirche. „Schon als ich mich hier bewarb, hat mich der imposante Eindruck fasziniert“, sagt er. „Die Kirche steckt voller Geschichten.“ Da gibt es zum Beispiel die Orgelempore. Die Holzschnitzereien, die dort zu sehen sind, zeigen die Passionsgeschichte. Wer genau hinschaut, erkennt den Einzug von Jesus in Jerusalem, seine Gefangennahme, Kreuzigung und Auferstehung. „Es ist faszinierend, wie gut und detailliert diese Bilder biblische Geschichten erzählen“, sagt Karstens. „Aber eigentlich zierten die Schnitzereien ehemalige Patronatsstühle“, weiß der Pastor. Die Kirche erzählt eben auch Geschichten über Menschen, über Umbrüche und Erneuerung in Kirche, Politik und Gesellschaft. Denn als die Patronate abgeschafft wurden, war das Gestühl überflüssig. Die wertvollen Schnitzereien bekamen einen neuen Ort in der Kirche zugewiesen.
Umbauten und Sanierungen gab es viele in der St.-Marien-Kirche. „Das Taufbecken hat die meisten Bewegungen mitgemacht“, berichtet Karstens. Gleichzeitig ist es der älteste Gegenstand der Kirche und stammt aus dem 14. Jahrhundert. „Im Laufe der Zeit ist es immer mehr in das Zentrum in Richtung des Altars gerückt.“ Mittlerweile hat es seinen Platz mittig vor dem Altarbereich gefunden. „Es erinnert uns immer daran, dass wir Getaufte sind“, sagt der Pastor. Auch die Kanzel hat mal einen anderen Standtort gehabt. Als die Menschen zum Beispiel im Mittelalter noch im Stehen den Gottesdienst verfolgten, war die Kanzel an einer Säule in der Mitte des Kirchenschiffes angebracht. Heute hat sie vorne im Südbereich ihren Platz. Früher seien die Menschen wenig zimperlich mit Veränderungen an und in der Kirche umgegangen, weiß Karstens. „Heute nehmen wir nur leichte Veränderungen vor.“ Zum Beispiel ist die Farbgebung der Bänke und der Emporen verändert worden. „Vor zehn Jahren waren sie dunkelgrün“, berichtet Karstens. „Die Gemeinde hatte aber ein Bedürfnis nach Licht in der Kirche.“ Somit entschied sich der Kirchenvorstand für eine Umgestaltung. Bänke und Emporen wurden hell gestrichen - nach historischem Vorbild. Neu eingerichtet wurde allerdings eine Meditationsecke. Heute hätten die Menschen verstärkt den Wunsch nach einem Raum für Stille und Andacht, so Karstens. Deshalb wurde die sogenannte Kreuzgruppe, die bis dahin ein Schattendasein im hinteren Teil der Kirche führte, nach vorne rechts neben den Altarraum verlegt. Die Kreuzgruppe aus dunklem Eichenholz zeigt den Gekreuzigten, Maria und Johannes. Davor stehen ein paar Stühle und ein Tisch, auf dem Kerzen entzündet werden können.
Pastor Karstens setzt sich auf eine Kirchenbank im hinteren Bereich. „St. Marien ist ein Schatz“, sagt er. Und den gelte es zu erhalten. Natürlich bedeute so eine alte Kirche auch Arbeit. Für die Instandhaltung der Kirche müsse immer etwas getan werden. „Feuchtigkeit ist zum Beispiel ein Problem in alten Kirchen.“ Epitaphien und Orgel müssten davor geschützt werden. „Deshalb sehen wir unsere Hauptaufgabe darin, das Bestehende zu erhalten“, sagt Karstens. Nach und nach wird also immer wieder im Kirchraum ein Gerüst zu sehen sein, weil zum Beispiel wieder ein Epitaph restauriert wird.

Viele Ausstattungsstücke der Kirche sind von wohlhabenden Rendsburger Bürgern wie zum Beispiel der Familie Gude gestiftet worden.  „St. Marien ist eine Bürgerkirche“, sagt Karstens. Auch heute noch: Vor ein paar Jahren hat ein Rendsburger Ehepaar neue Traustühle gestiftet. Die Menschen wollten auch heute noch ihre Kirche unterstützen. „Die besondere Atmosphäre hier macht etwas mit den Menschen“, sagt Karstens. „Hier kann die Seele aufatmen.“ Innere Ruhe, Trauer, Freude: Die St.-Marien-Kirche ist ein Ort, an dem Menschen loslassen, bei sich sein, den Anblick genießen können. „Die Kirche, auch wenn sie etwas versteckt liegt, ist ein Schatz, den es zu entdecken gilt. Dazu lade ich alle ein“, sagt Karstens. Auch er entdeckt immer wieder etwas Neues, zum Beispiel den „tanzenden Christus“. Den hat der Pastor erst kürzlich entdeckt - auf einem Epitaph. „Ich bin gerade dabei, darüber zu recherchieren“, sagt Karstens. St. Marien ist eben ein Ort voller Geschichte und Geschichten.   

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